Auf der Suche nach MILAPA

Auf der Suche nach MILAPA

Ein paar von euch haben mir bereits geschrieben und mich gefragt: „Was bedeutet denn nun eigentlich MILAPA?“

Ich möchte euch daher gern mit in die Berge Nepals nehmen, wo ich dieses besondere Wort das erste Mal gehört habe. Und zwar in einer Situation, die ich nie vergessen und immer in meinem Herzen tragen werde.

Es ist der Monat Mai 2016. Mein nepalesischer Freund Bal, der das Waisenhaus leitet von dem ihr ja bereits im ersten Blogeintrag gehört habt und ich packen unzählige Kisten gemeinsam auf das Dach eines Mini-Bus an der Busstation in Kathmandu. Im Gepäck haben wir Schulmaterial für 35 Kinder, bestehend aus Heften, Stiften und Rucksäcken sowie ein paar Bälle und Badminton-Spiele. Drei Wasserfilter und Kisten voller Erste Hilfe Material sowie eine medizinische Grundversorgung für Kinder und Erwachsene. Außerdem noch Reis, Linsen, Gewürze und Tee. Und obendrauf noch ein paar traditionelle nepalesische Instrumente.

Wir brechen zu einem Hilfseinsatz in die Magdi-Region nach Thaja auf, dem Heimatdorf von Bal. Mein guter Freund Stefan hatte dafür in Dresden eine wunderbare Spendenaktion ins Leben gerufen. Mit diesen gesammelten Spenden konnten wir das ganze Material kaufen, welches jetzt in und auf den Bus geladen wird.

Früh morgens rollen wir hupend auf den staubigen Straßen von Nepals Hauptstadt los. Unser Ziel ist die Kleinstadt Beni, etwa 300 Kilometer westlich von Kathmandu. Nach 10 Stunden inklusive jeder Menge nepalesischer Musik, Schlaglöchern sowie einer Reifenpanne, kommen wir schließlich in Beni an. Am nächsten Tag finden wir nach einiger Verhandlungsarbeit einen Jeep, der uns und die vielen Sachen in die Nähe Thajas bringen wird. Es geht zwei weitere Stunden lang über eine schmale und steinige Buckelpiste, die immer höher in die Berge führt. Während der Regenzeit sind einige Passagen dieser „Straße“ unbefahrbar. Wir stoppen schließlich und laden alles aus, denn von hier geht es nur noch zu Fuß weiter nach Thaja, das sich über uns auf dem Berg befindet. Nach einer weiteren Stunde und dank der vielen fleißigen Helfer, die beim Tragen der vielen Sachen geholfen haben, kommen wir im Dorf an.

Auf dem Weg nach Thaja.

Mit einem herzlichen Namaste werden wir von Bals Eltern begrüßt und nehmen auf einer Strohmatte im Haus Platz. Es gibt erst einmal einen Begrüßungs-Tee. Das Haus besteht aus Stein und Lehm und hat eine sehr simple Struktur. Im unteren Raum befindet sich eine offene Holzfeuer-Kochstelle und im oberen Raum, welcher über eine Holzleiter erreichbar ist, wird das Essen gelagert. Bei unserer Ankunft war getrockneter Mais, der gemahlen und zu einem Brei verarbeitet wurde, alles was die Menschen im Dorf noch an Essensvorräten hatten. Alles findet auf dem Boden statt: kochen, essen, sitzen, schlafen. Alles in diesem 5×5 Meter großen Raum. Es gibt keinerlei Möbel oder jegliche materielle Dinge im Haus. Nur Kochtöpfe, Teller, Becher, Strohmatten und Decken. Den einzigen Besitz für Bals Eltern stellen vier Hühner sowie zwei Ziegen dar.

Amma (Bals Mutter)

Am Abend finden sich viele der Dorfbewohner im Haus ein. Nach dem Essen wird noch die mitgebrachte Mandal (nepalesische Trommel) und Tambourine eingeweiht. Es ist bereits dunkel als die 68 jährige Kalmati im Haus ankommt. Sie wohnt zwei Tagesmärsche entfernt, ist aber heute in 12 Stunden von ihrem Dorf alleine bis hierher gelaufen um Bal wiederzusehen und die nächsten Tage mit der Familie zu verbringen.

Kalmati (erste von rechts)

Trotz der Sprachbarriere, aber dank Bals Übersetzungen verbringen wir alle einen tollen Abend miteinander und lachen sehr viel. Es wird gesungen und getanzt und ich fühle mich hier sehr willkommen. Bal setzt sich schließlich neben mich und sagt:

„André brother, meine Mutter erzählt allen das ihr Sohn jetzt endlich mal wieder da ist. Und sie sagt auch, dass sie jetzt noch einen Sohn hat. Sie meint dich damit brother!“.

„Dhanyabad“ – Dankeschön ist alles was ich in dem Moment sagen kann.

Am nächsten Morgen packen wir für jedes Kind einen Schulrucksack mit Bleistiften, Buntstiften, Lineal, Spitzer, Radierer sowie Malblock und Übungsheften. Wir sortieren auch die mitgebrachte Medizin, bevor wir dann gemeinsam mit den Dorfbewohnern alles zur 15 Minuten zu Fuß entfernten „Gorup Primary School“ tragen.

Bal packt Schulrucksäcke.
Auf dem Weg zur Schule.

Drei Lehrerinnen unterrichten in dieser seit 2001 bestehenden öffentlichen Schule insgesamt 35 Kinder der umliegenden Dörfer in unterschiedlichen Klassenstufen. Wir packen unsere Kisten aus und bereiten alles für die Verteilung vor. Die Schulbänke sind bereits in einem Kreis auf dem Vorplatz der Schule aufgestellt und nach und nach finden sich auch die Eltern der Kinder, bzw. zumeist die Mütter sowie weitere Leute aus der Umgebung ein. Die Lehrerin hält eine Ansprache und alle werden persönlich begrüßt.

Der Vorplatz der Schule.

Bal und ich werden von den Lehrerinnen traditionell mit einer Tika sowie einem Blumenkranz willkommen geheißen. Bei der Tika wird mit dem in rotes Farbpulver getauchten Daumen eine vertikale Linie auf die Stirn gezogen. Hier in Nepal ist dies unter anderem ein Zeichen der Ehrung von Gästen. Die Schule hat auch ein kleines Programm vorbereitet bei dem die Kinder singen und tanzen. Zwischendurch gibt es immer wieder Ansprachen von verschiedenen Dorfbewohnern die ihre Dankbarkeit für Bals Rückkehr und die Unterstützung für seine Heimatregion zum Ausdruck bringen. Bals Nichte Suraja hat sogar ein eigenes Lied für ihn geschrieben, welches so ergreifend war, dass ihm die Tränen in den Augen standen. Nachdem Bal noch etwas ausführlicher zu den Dorfbewohnern gesprochen hat, beginnen wir mit der Verteilung der 35 gefüllten Rucksäcke. Ganz geordnet stehen die Kinder in einer Reihe und nehmen einer nach dem anderen freudestrahlend die Schulrucksäcke entgegen.

Verteilung des Schulmaterials.

Im Anschluss geht es an die Verteilung der Medizin, dabei müssen wir jedoch nach den ersten zwei Personen schlagartig alles einpacken und ins Schulgebäude umziehen, denn es fängt heftig an zu regnen. Die Vorboten der schon bald beginnenden Monsunzeit. In der Schule heißt es dann alles wieder auspacken und erneut sortieren, bevor die Verteilung weitergehen kann. Jede Familie erhält Medikamente gegen Fieber, Magenprobleme, Durchfall, Erkältung sowie Augen-Ohren-Tropfen, Elektrolytlösung und erste Hilfe Material in Form von Desinfektionslösung, Kompressen, Verbänden, Pflastern und Wundheilsalbe. Bals Frau und Schwester haben bereits vor unserer Abreise alles in Nepali beschriftet, aber sicherheitshalber erklärt Bal nochmal jedem persönlich was wofür gut ist. Zusätzlich bekommt jede Familie auch noch Medizin für die Kinder gegen Fieber, Durchfall und Erkältung. Ein normaler Durchfall kann hier schnell zu einer lebensbedrohlichen Situation werden. Insgesamt stellen wir so 45 Familien eine medizinische Notfallversorgung zur Verfügung, denn der nächste Arzt ist einen Tagesmarsch entfernt und das Geld für Medikamente kann hier niemand aufbringen.

Verteilung medizinischer Grundversorgung.

Der Regen stoppt schließlich und wir können wieder nach draußen. Die Menschen wollen ihre Dankbarkeit noch in besonderer Weise ausdrücken und wir bekommen weitere Tikas auf die Stirn. Da uns so viele der Leute auf diese Weise ehren und die Stirn irgendwann komplett rot ist, wird auch der Rest des Gesichtes mit dem roten Farbpulver verziert 🙂 Wir bekommen auch Thakas, die traditionellen Zeremonie Schals als Dankeschön überreicht.

Tika für alle 😉

Mit Mandal, Tambourine und Flöte wird das erste Lied angestimmt zu dem Bal und ich tanzen sollen. Schließlich tanzen alle mit und amüsieren sich köstlich, wie ich versuche mich im nepalesischen Stil zu bewegen. Alle sind so happy und keiner will nach Hause gehen. So singen, tanzen und lachen wir noch lange bis es dunkel wird.

Das erste Lied wird angestimmt.
Ausgelassene Stimmung in Thaja.

Am nächsten Morgen weckt mich der Rauch des Holzfeuers, welcher sich im Raum verteilt in dem wir schlafen. Ich gehe nach draußen um mir etwas Wasser an der zentralen Wasserstelle ins Gesicht zu werfen. Vor mir glänzt die Schneewand des 8167m hohen Dhaulagiri am Ende des Tals in der Sonne. Unglaubliche Schönheit, die aber über die allgegenwärtige Armut hier in Thaja nicht hinweg täuschen kann.

Blick von Thaja auf den Daulagiri (8167m)

Mir fällt es schwer alles einzuordnen was ich hier erlebt habe. Denn ich habe das Gefühl auf meiner ganzen Reise noch nie so glückliche Menschen gesehen zu haben. Menschen, die kaum etwas besitzen und dich aus tiefsten Herzen anlächeln. Menschen, die dich nicht einmal nach etwas fragen, sondern nur geben und unglaublich dankbar sind.

So frage ich Amma (Nepali für Mutter), wie ich Bals Mutter nennen sollte, als wir beim Abschiedstee sitzen:

„Amma, ihr habt so ein schwieriges Leben hier in den Bergen. Trotzdem sehe ich nur lachende Gesichter und Dankbarkeit. Ihr alle habt so ein besonderes Lachen, eines das aus tiefsten Herzen kommt. Was ist euer Geheimnis hier in Thaja?“

Bal übersetzte die Frage für mich in Nepali. Amma nimmt meine rechte Hand. Sie schaut mir tief in die Augen, lächelt und sagt:

„Mein Sohn, wir sind arme, aber sehr glückliche Menschen! Die Familien in unserem Dorf leben in MILAPA, wir unterstützen uns alle gegenseitig. Jung und alt, stark und schwach, wir sind für einander da. Wir leben mit der Natur und den Bergen in MILAPA. Mit der Sonne, dem Regen, dem Schnee, mit allem um uns herum. Der Boden hier ist steinig und wenig fruchtbar, dennoch schenkt er uns genug Nahrung. Das ist ein Wunder. Und wir leben alle mit uns selbst in MILAPA. Hier drin!“ sagt sie und legt ihre Hand dabei auf ihr Herz.

Mir rollt eine Träne über die Wange und Amma fragt mich was los ist.

„Ich glaube, ich fühle auch grade MILAPA!“ sage ich.

Sie lächelt mich liebevoll an, drückt meine Hand ein bisschen fester und sagt „Ramro cha mero chora. Das ist gut mein Sohn!“

Amma

Viele Male blicke ich zurück als wir uns schließlich verabschieden und zu Fuß auf den Weg machen. Alle stehen vor dem Haus, auf dem brachen kleinen Acker. Groß und klein, alt und jung, alle stehen dort und winken uns zu. Kurz bevor der Weg über ein paar Steinstufen nach unten führt schaue ich nochmal zurück zu diesen wunderbaren Menschen, lege meine Hand auf mein Herz und flüstere:

„MILAPA, MILAPA“

Bal legt seine Hand auf meine Schulter und sagt: „Komm brother, es ist Zeit zu gehen. Aber wir können wieder kommen nach Thaja, tik cha – okay?“.

„Tik cha“ antworte ich.

MILAPA ist also etwas was aus tiefsten Herzen kommt. Es bedeutet soviel wie „in Einklang bringen“, „sich mit etwas versöhnen“ um schließlich „in Einklang zu sein“.

Wollen wir uns nicht alle ein Stück mehr mit uns selbst und unserem Umfeld versöhnen?

Unseren Kopf und unser Herz ein bisschen mehr in Einklang bringen?

Denn dadurch können wir die Schichten ablegen, die wir uns unbewusst über die Jahre angelegt haben. Wie bei einer Zwiebel können wir Schicht um Schicht abschälen und so uns selbst und unseren Geist besser verstehen. Wir können erkennen, dass wahres Glück unabhängig von den äußeren Umständen und nur in uns selbst zu finden ist. So wie die lieben Menschen in Thaja und so wie Amma es in Worte gefasst hat.

Also lass uns meditieren und mehr und mehr in den Zustand von MILAPA gehen. In Einklang mit uns selbst, mit der Natur und mit allen Menschen um uns herum.

Bist du bereit MILAPA in deinem Leben zu erfahren?

Meditation kann dir helfen dauerhaft in diesem Zustand zu leben und eine innere Zufriedenheit unabhängig von den äußeren Umständen zu kultivieren.

Lass uns auf diese wunderbare Reise ins Innere gehen, dort wo wir MILAPA finden.

Im nächsten Blogbeitrag erfährst du , was Meditation nun eigentlich ist und was sie nicht ist. Wir werden das für viele scheinbar mystische Wort Meditation entmystifizieren. Also bleib gespannt, aber dennoch immer entspannt 😉

Du kannst auch eine erste Kostprobe vom MILAPA-Zustand nehmen. Probiere dafür doch mal ein paar Tage lang direkt nach dem Aufstehen meine 5 Minuten Meditation für einen guten Morgen aus. Beobachte mal wie du dich dabei fühlst und was sich vielleicht bereits verändert.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tobias

    Es ist eine wundervolle Geschichte, die wirklich aufzeigt, wie glücklich Menschen sein können, auch wenn diese nicht so viel materiellen Reihtum haben. Vielen Menschen könnten sich eine Scheibe von diesem Lebensphilosophie abschneiden und mal mehr nach links und rechts schauen. Danke Andre für diese Einblicke

    1. André

      Danke, lieber Tobias ? Du hast völlig Recht, wir können sehr viel aus solchen Begegnungen lernen und unsere eigene Sichtweise auf das Leben verändern. Manchmal brauchen wir eben nur so einen kleinen „Anstupser“ ?

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